Stefanie Rückerl

Gesundes Essen neu denken

Foto: Julia Heilig

Es war der Wunsch etwas Neues zu machen und wieder zu spüren, was Leben heißt, der Stefanie einen beruflichen Neuanfang machen ließ. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie viele Jahre erfolgreich das Designbüro strada geführt, doch dann ließ das „Hamsterradgefühl“ sie nicht mehr los: „Ich habe bei strada lange für die Modebranche gearbeitet und habe das auch genossen. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass es noch mehr gibt und ich gerne gesellschaftlich etwas verändern möchte. Da war ich 52 Jahre alt. Und ich wusste, es ist jetzt der Moment für eine Veränderung.“

Es war trotz allem keine leichte Entscheidung, aber Stefanie wagte den Schritt. Zunächst gönnte sie sich eine Auszeit und reiste drei Monate nach Neuseeland. „Das war für mich eine Herausforderung. Ich bin noch nie alleine gereist, ich kann überhaupt schlecht allein sein. Am Anfang hatte ich Heimweh. Aber ich habe dort gelernt, dass ich mit dem Alleinsein zurechtkomme und habe auch viele Menschen kennengelernt, die ich sonst sicher nicht kennengelernt hätte. Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass ich auch mit mir selber etwas anfangen kann. Die Reise hat mir Mut und Selbstbewusstsein gegeben.“ Stefanie kehrte gestärkt aus Neuseeland zurück und war bereit sich wieder selbstständig zu machen: „Neuseeland hat den Ausschlag gegeben zu sagen, ja, ich trau mich das, ich pack das an.“

In Neuseeland wurde für sie auch greifbarer, wohin es gehen sollte: „Ich habe dort viel gekocht und viel ausprobiert und bin auf den Buchweizen gestoßen, der dort sehr viel verbreiteter ist als hier. Ich kannte Buchweizen vorher schon, aber ich war sehr überrascht zu sehen, was man damit alles machen kann.“ Kochen ist seit jeher Stefanies Leidenschaft, schon früh hat sie im Gartenbaubetrieb ihrer Eltern für die Familie und die Mitarbeiter Mittagessen gemacht. Gutes Essen ist ihr wichtig. Zurück in München ging Stefanie zusammen mit Regine Kiefer das neue Projekt an. Regine ist Juristin und engagiert sich seit vielen Jahren für die Inklusion von Menschen mit besonderem Förderbedarf. Sie hatten die Idee, gemeinsam etwas zu machen, das die Themen „Essen“ und „Inklusion“ zusammenbringt.

Die Ästhetik als Bindeglied

Nach Stefanies Neuseelandreise war klar, es sollte ein Produkt auf der Basis von Buchweizen werden. Stefanie entwickelte die Rezepturen und „Regine hat sich wahnsinnig reingehängt, dass wir die Zutaten regional bekommen und bio-zertifiziert.“ Entstanden sind drei Produkte, drei Körnermischungen auf Buchweizenbasis in verschiedenen Geschmacksrichtungen: sweet&salty, chili crunch und crispy oriental. Das Produkt ist erklärungsbedürftig, denn bei gerösteten Körnern denken die meisten an Granola oder Crunchy Müsli. Die Buchweizenmischungen aber sind als Topping für Suppen, Salate oder Gemüse gedacht. Stefanie: „Sie sind eine Ergänzung, die das Essen leckerer und gesünder macht.“ Verkostungen helfen, Verbraucher*innen mit einem neuen Produkt bekannt zu machen, aber im letzten Jahr waren die kaum möglich. Inzwischen hat Stefanie Flyer und ein paar Rezeptpostkarten gemacht, damit die Leute verstehen, was sie mit den Mischungen machen können. Verkauft werden sie unter dem Namen Albert&Clara.

Die Entwicklung der neuen Marke war Stefanies Herzenssache. Sie hat in Essen Industriedesign studiert und sich schon immer für Marken und dafür, was eine Marke wertvoll macht, interessiert.  Seither begleitet sie das Thema. Ihre erste eigene Firma nannte sie „Markenhaus“, und auch später bei strada war die Markenentwicklung ihr Arbeitsschwerpunkt. Dazu passt auch, dass sie seit einiger Zeit in Schwäbisch Gmünd an der Hochschule für Gestaltung im Masterstudiengang strategisches Design die Vorlesung „brand building“ leitet. Professionell haben Stefanie und Regine auch ihr eigenes, neues Produkt kreiert. Auch auf das branding legte Stefanie großen Wert: „Für mich ist die Ästhetik ein Bindeglied, sie ist eine Chance, gesundes Essen attraktiver und begehrlicher zu machen.“ Das Produkt muss ansprechend sein und natürlich muss die Qualität stimmen. So wurden alle drei Mischungen vor der Markteinführung von einem Lebensmittelinstitut getestet: „Wir haben in die Entwicklung des Produktes investiert. Wir machen es ja nicht für unseren eigenen Hofladen und wir wussten, wenn wir in Läden wollen, brauchen wir Nährwerte und das Produkt muss abgesichert sein.“  Der Name Albert&Clara, der zunächst nur ein Arbeitstitel war, blieb, denn das Feedback war sehr gut: Albert ist der Vorname von Stefanies Vater und Clara der von Regines Mutter. „Wir finden, dass die Beiden gute Paten für unsere Firma sind.“ Die Markteinführung von Albert&Clara ist gut gelaufen. Mittlerweile werden die Mischungen vor allem in Bioläden und in concept stores verkauft. Darüber hinaus haben beide auch die Unternehmen im Blick: Man könnte das Topping in Kantinen anbieten oder mit der Lieferung einer Gemüsekiste kombinieren. Auch als Firmengeschenk kamen die Albert&Clara Mischungen im vergangenen Jahr gut an.

Einfach gesund kochen

Die Zusammenarbeit im Team mit Regine ist für Stefanie sehr wertvoll. „Das ist wie ein pingpong Spiel“, man wirft sich Bälle zu und daraus entstehen kreative Ansätze und Lösungen. Anfang 2020 haben die Beiden zusammen die GmbH gegründet. Sie ergänzen sich gut, jede hat ihre Schwerpunktthemen und die Geschäftsführertätigkeiten teilen sie sich auf.

Die Buchweizenmischungen sind ein erstes Produkt, weitere sollen folgen. Der Gedanke von Albert&Clara aber geht über Produkte hinaus, das ist Stefanie wichtig: „Wir sind angetreten, um grundsätzlich einfaches und gesundes Essen neu zu denken.“ Das können weitere Produkte sein, mit denen man einfach gesund kochen oder vegetarische und vegane Gerichte schmackhafter machen kann. Aber Stefanie will das Ganze unbedingt auch medial begleiten und ist dabei verschiedene Möglichkeiten zu entwickeln. Sie hat dabei gerade die jungen Leute im Blick und so ist eine Idee „Fast food neu zu denken“.

Bislang beliefert Albert & Clara den Großraum München und das Fünfseenland. Die Nachfrage wächst und es stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Noch ist nicht ganz klar, wie groß man eigentlich mit so einem Produkt werden will. Will man selbst davon leben und will man Arbeitsplätze schaffen? Und wo ist die Grenze der eigenen Kompetenz. Stefanie: „Bis jetzt ist alles Handarbeit mit Menschen mit und ohne Behinderung. Aber in einem Bereich, wo du dann 3000 oder 4000 Gläser im Monat brauchst, da komme ich dann handgemacht in kleinen Bioküchen an eine Grenze.“ Bislang hat Albert&Clara keine eigenen Räume, sie rösten in biozertifizierten Küchen und Backstuben. Nun überlegen sie, eine eigene Produktion aufzubauen. Das wäre ein Zwischenschritt in der Weiter-Entwicklung des Unternehmens. Das A und O ist immer die Qualität, sie muss garantiert sein. Und ein zentrales Thema bleibt die Inklusion: „Das ist Regine sehr wichtig. Sie weiß aus ihrer Erfahrung, dass es sehr schwierig ist, Menschen mit besonderem Förderbedarf eine richtig gute berufliche Perspektive zu geben. Ich fasse es ein bisschen weiter, und denke mehr an ein Sozialunternehmen. Ich sehe da etwa auch Rentner, die nicht genug Geld haben und sich etwas dazu verdienen möchten. Und ich würde gerne abgesehen vom Konfektionieren auch andere Jobs anbieten können. Das wäre mein Traum, zu sagen, ich habe inklusive Stellen beim Versand, bei der Presse, im Vertrieb oder bei Medienauftritten und das ganze damit noch auf eine andere Stufe zu stellen. Ich finde es wichtig, dass Menschen mit Handicap eine Sichtbarkeit bekommen.“

Beweisen, dass es auch anders geht

Nach einem Jahr Albert&Clara sind noch viele Fragen offen, aber Stefanie freut sich über das, was sie geschafft haben. Am Anfang dachten sie noch, dass irgendeine Stiftung sie unterstützen würde oder sie eine staatliche Förderung bekommen könnten, aber daraus wurde nichts. Stefanie: „Irgendwann habe ich aufgehört, da Energie reinzustecken und wir haben beschlossen, es mit eigenen Mitteln zu machen. Und darauf bin ich stolz. Noch können wir nicht davon leben, aber wir sehen, dass es funktionieren kann. Und am stolzesten bin ich vielleicht darauf, dass wir unserer Idee und Überzeugung  treu geblieben sind.“ Sie haben die Stolpersteine auf dem Weg beiseite geräumt und nicht klein beigegeben. Auf Messen hatte Stefanie immer wieder mit Startups zu tun, die Venture Capital in Millionenhöhe hatten. Aber ihr Ziel ist, zu „beweisen, dass es auch anders geht“.

Albert&Clara steht für soziales und ökologisches Engagement, aber natürlich wollen Stefanie und Regine eines Tages auch davon leben und sollen auch andere davon leben können. Gerade dann bekommt es noch eine andere Wertschätzung, „wenn es Menschen Arbeit gibt“, davon ist Stefanie überzeugt, denn dann kann man zeigen, dass man auch anders produzieren und kalkulieren kann.“

Stefanie ist beharrlich und sie ist kreativ. In Neuseeland hat sie die Erfahrung gemacht, dass es nicht schlimm ist, zu scheitern, dass auch das ok ist. Nach Scheitern sieht es im Moment nicht aus. Sie hat noch viele Ideen, Ideen für Rezepte und auch für die mediale Vermittlung, um den Menschen das einfache und gesunde Essen schmackhaft zu machen. Man darf gespannt sein. Stefanie ist es auch: „Das Ende ist wirklich offen, es ist alles möglich.“

www.albertundclara.com/