Franziska Lüttich

Hauptsächlich Queen und ein bisschen Abba

Foto: Barbara Obermaier Fotografie

„Ich arbeite als Trauerrednerin“, sagte sie und ich schluckte ein wenig. Mir gegenüber saß eine fröhliche und burschikose Frau, die lebhaft aus ihrem Leben erzählte. Das passte so gar nicht mit meinem Bild von Trauer, Friedhof und Beerdigung zusammen. Doch ich merkte schnell, dass Franziska ihren Job liebt und den so gar nicht traurig findet: „Wenn ich von einer Trauerfeier komme, darf mich keiner fragen, woher ich komme. Ich strahle dann immer wie ein Honigkuchenpferd. Ich bin dann wirklich voll mit Adrenalin und Glückshormonen, weil ich Menschen in einer schweren Situation geholfen habe.“ Franziska ist auch Hochzeitsrednerin, aber wer glaubt, dass sie diese Reden lieber hält, der irrt, denn „das Brautpaar ist ja schon glücklich, bevor ich komme. Ich kann sie noch glücklicher und den Tag unvergessen machen, aber bei einer Trauerfeier sind die Angehörigen alles andere als glücklich. Ihnen muss ich erst einmal auf den Weg zu einer gewissen Freude und einer Aussicht auf die Zukunft helfen. Ich bringe den Leuten das Thema Tod näher, ohne dass sie sich fürchten. Trauer ist keine Krankheit, sie ist nicht das Problem, sie ist die Lösung. Denn Trauer überwindet man nur durch trauern.“

Franziska ist eine weltliche Trauerrednerin. Sie kann jeder in Anspruch nehmen, denn auch Menschen, die einer Kirchengemeinschaft angehören, müssen nicht zwangsläufig einen Pfarrer beauftragen. Meistens wird sie über einen Bestatter kontaktiert. Der erste Kontakt mit den Angehörigen ist telefonisch. Anschließend verschickt sie einen kleinen Leitfaden, in dem die Angehörigen schon ein paar Daten und Fakten zum Verstorben notieren können.  Aber nicht nur das. Sie fragt auch nach Erinnerungen und besonderen Ereignissen. Sehr viel wichtiger ist aber dann das persönliche Gespräch, das Franziska mit den Angehörigen führt, denn sie möchte „das Leben des verstorbenen Menschen noch einmal aufleben und den Charakter sichtbar werden lassen.“ Im Gespräch mit ihr erinnern sich die Menschen dann an viele schöne Momente, es wird in Fotoalben geblättert und längt Vergessenes wieder ausgegraben. Franziska hat auch eine Ausbildung als Trauerbegleiterin absolviert und weiß, wie wichtig diese Gespräche für die Hinterbliebenen sind: „Viele lächeln oder lachen nach dem Tod des Menschen in diesen Gesprächen das erste Mal wieder. Das tut den Leuten gut, aber manche verunsichert es auch, und sie fragen dann, ob man das überhaupt darf…“

Einen versöhnlichen Abschluss finden

Der Tod, Franziska hat sich schon als kleines Kind auch für seine körperliche Seite interessiert. Sie weiß, dass das vielleicht komisch klingen mag, aber sie ist überzeugt davon, dass das jedes Kind irgendwie interessiert. Sie erinnert sich an einen toten Vogel, der eines Tages im Garten lag, da war sie acht Jahre alt: „Ich habe ihn liegenlassen und jeden Tag geschaut, was passiert und wie er sich verändert.“  Später dann, sie war 14, wollte sie wissen, was eigentlich mit einem Menschen passiert, wenn er tot ist: „Ich war damals James Dean Fan und er war zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre tot war. Ich habe mich immer wieder gefragt, was wohl noch von ihm übrig ist.“ Ein Biologielehrer hat damals all ihre Fragen beantwortet. Heute gibt es sogar Bücher, in denen die Fragen der Kinder, was mit einem Menschen nach seinem Tod passiert, ganz ehrlich beantwortet werden.

Doch es war mehr als nur das. Schon damals hat sie sich gerne die Lebensgeschichten von alten Leuten angehört, denn „das waren so viele verschiedenen Lebensentwürfe. Und es hat mich fasziniert, was alles möglich ist.“ Auch geschrieben hat Franziska schon immer gerne und so kam es, dass die gelernte Kauffrau viele Jahre später eine Ausbildung zur Trauerrednerin absolvierte. Als sie alles beisammen hatte, war sie erst einmal vier Monate lang heiser: „Ich hatte Angst“. Dann hat sie sich ein Herz gefasst und sich bei einem Bestatter vorgestellt. Drei Tage später hatte sie den ersten Auftrag. Das war im Juni 2018. Mittlerweile hat Franziska über 170 Trauerreden gehalten. Das sind viele Lebensgeschichten, viele Familiengeschichten und viele Trauerfeiern. Keine ist wie die andere. Franziska will jedem Verstorbenen gerecht werden und allgemeine Floskeln sind ihr zuwider. Doch, was ist für sie eine gute Trauerrede? „Eine gute Rede ist für mich, wenn alles dabei war. Wenn jemand weinen konnte, von dem ich wusste, dass er eigentlich nicht weint. Wenn ich sehe, dass Trauergäste zustimmend nicken, sich trauen zu lächeln oder sogar zu lachen, weil sie in meinen Worten den Menschen sehen, der gestorben ist. Ich glaube, das größte Lob ist, wenn Trauergäste mich nach der Feier fragen, wo ich den Verstorbenen eigentlich kennengelernt hätte und ich sie dann erstaune, wenn ich sage, dass ich ihn gar nicht persönlich kannte.“ Und es macht Franziska glücklich, wenn Leute nach der Trauerfeier sagen, es war so schön, ein wenig beschämt, weil sie nicht wissen, ob man das eigentlich sagen darf. Franziska weiß, wie wichtig dieser Moment ist: „Ich möchte, dass ein versöhnlicher Abschluss gefunden wird. Bevor ich Rednerin wurde habe ich es selber erlebt: wenn ein Abschied misslungen ist, dann trägst du das immer mit dir herum. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich Trauerrednerin wurde.“

Das Leben feiern

Nicht nur die Rede muss passen, auch Musik spielt für Franziska eine große Rolle: „Ich habe einmal eine 65-Jährige verabschiedet und wir haben als erstes ‚Hells Bells‘ von AC/DC gespielt. Danach habe ich zu den Leuten gesagt, ‚jetzt haben Sie sich vielleicht gewundert, aber in der Verstorbenen steckte ein kleiner Rocker. Sie war vor 30 Jahren auf einem Konzert von AC/DC, ganz allein, in schwarzer Lederjacke‘. Und damit ‚kriege‘ ich die Leute, weil sie wissen, es geht wirklich um die Verstorbene, so wie sie war.“

Die Trauerrede ist für Franziska immer auch ein Dialog mit den Trauernden. So bedankt sie sich immer bei den Angehörigen, dass sie ihr vertraut haben, obwohl sie sie nicht kannten. Dass sie ihr die innersten Gefühle und Erinnerungen geschenkt haben oder sich eben auch getraut haben, zu sagen, was nicht so gut war mit dem Verstorbenen. Aber auch bei den Trauergästen bedankt sich Franziska dafür, dass sie da sind, denn das ist nicht selbstverständlich: „Der Tod ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema. Er kommt zwar jeden Tag in den Medien vor, so sehr, dass wir ihn schon gleichgültig hinnehmen. Um unser eigenes Leben, da soll er aber mal einen schönen großen Bogen machen. Aber das macht er nicht.“ Bei Beerdigungen werden wir zwangsläufig erinnert, dass wir alle einmal sterben müssen und damit wollen sich manche Leute nicht beschäftigen. Manch einer geht deshalb erst gar nicht hin. Diejenigen aber, die kommen, haben nicht gekniffen, sie haben sich diesem Thema gestellt. Sie nehmen in Kauf, dass sie die Tränen und die Trauer der anderen sehen, vielleicht auch selber weinen. Sie sind da. Mit diesem Beistand haben sie den Angehörigen des verstorbenen Menschen einen unbezahlbaren Freundschaftsdienst erwiesen. „Die Leute sind dann überrascht, dass ich mich bei ihnen dafür bedanke, dass sie da sind. Und sie gehen dann nachhause und sagen sich, dass sie etwas richtig Gutes gemacht haben und das finde ich klasse.“

Franziska versucht mit ihrer Arbeit den Tod wieder da hinzubringen, wo er sowieso ist, wo ihn aber keiner sehen will – mitten im Leben: „In dem Moment, in dem wir gezeugt werden, ist die Konsequenz, dass wir irgendwann mal sterben. Und ich finde, wenn man sich das klar macht, lebt man entspannter und da bekommen auch das Leben und jeder Tag einen ganz anderen Wert, weil du weißt, es könnte dein letzter sein. Wie oft habe ich schon Menschen verabschiedet, die einfach tot umgefallen sind, mit 50 oder 60 Jahren. Wie viele Chancen da verpasst werden, wenn man immer sagt, ‘das schiebe ich, das mache ich später‘ und später bist du plötzlich tot.“ Die Begegnung mit dem Tod bedeutet für Franziska deshalb auch, das Leben zu feiern.

Den Tod beim Namen nennen

Und sie findet, dass wir auch Kinder durchaus mit dem Tod konfrontieren sollten. Wenn eine Mutter weint, weil sie um ihren Vater trauert, dann sollte sie nicht sagen, dass sie weint, weil sie Zwiebeln geschnitten hat. Kinder spüren die Traurigkeit und man sollte sie nicht anlügen, sonst trauen sie ihren Gefühlen nicht mehr. Franziska: „Und man sollte auch nicht sagen, dass der Opa eingeschlafen ist, sonst warten sie, dass er wieder aufwacht. Oder sie trauen sich selbst nicht einzuschlafen, weil sie Angst haben auch nicht mehr aufzuwachen. Der Opa ist auch nicht „von uns gegangen“, denn sonst könnte er ja wiederkommen. Der Opa ist gestorben, das darf man beim Namen nennen.“

Franziska findet die richtigen Worte nicht nur dann, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. Sie verfasst auch Nachrufe auf verstorbene Haustiere, denn sie hat oft erlebt, dass Leute, die ein Tier verloren haben, wenig Verständnis finden. Vielleicht noch am Anfang, doch spätestens nach ein paar Monaten wird diese Trauer oft als übertrieben angesehen. Für die meisten aber ist ein Tier ein Familienmitglied und dann darf man auch darum trauern.

In Franziskas Leben ist der Tod allgegenwärtig. Ihre Einstellung zum Leben hat sich dadurch noch einmal verändert: Sie ist „einfach dankbar für jeden Tag“. Und natürlich hat sie sich über ihre eigene Trauerfeier auch schon Gedanken gemacht: „Ich habe noch nicht alles aufgeschrieben, aber meine Frau weiß, was ich will. Abwechslungsreich muss es sein und als Musik hauptsächlich Queen und ein bisschen Abba.“ Doch bis dahin ist noch Zeit, viel Zeit, das Leben zu feiern.

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