Christina Wechsel

Wer Flügel hat, braucht keine Beine

Foto: Andrea Mühleck

Was hat dich dazu bewogen das Buch zu schreiben?

Ich habe beim Women‘s Hub* eine Rede über meine Geschichte gehalten und da habe ich gemerkt, was für einen Effekt meine Geschichte auf andere Leute hat. Nach meinem Unfall wollte ich ganz normal behandelt werden, ich wollte weder Mitleid bekommen, noch wollte ich auf einen Sockel gestellt werden und ich schätze das unglaublich, dass meine Familie und mein Freundeskreis das auch genauso gemacht haben. Aber als ich dann auf die Bühne gegangen bin und mich gezeigt habe, hat meine Geschichte noch einmal einen anderen Sinn für mich ergeben, nämlich anderen Menschen damit Mut zu schenken und sie zu inspirieren, Schicksalsschläge aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten. Und diese Schicksalsschläge auch als Möglichkeit, als Chance im Leben zu sehen, auch als große Chance sich selbst besser kennenzulernen. Eine Freundin, Julia Heyne, die selber Journalistin ist, kam dann auf mich zu und hat mir angeboten, mit ihr zusammen ein Buch über meine Geschichte zu schreiben.

War der Prozess des Schreibens intensiver, schmerzhafter als das darüber Sprechen?

Ja, absolut. Wenn ich einen Vortrag halte, dann dauert der in der Regel eine halbe Stunde. Als ich das Buch geschrieben habe, habe ich mich auf eine ganz andere Art und Weise noch einmal intensiv mit meiner Geschichte auseinandergesetzt und habe sie wieder erlebt und durchlebt. Ich habe für das Buch meine letzten zehn Tagebücher durchgelesen und es ist wirklich sehr spannend, einmal Erlebtes auf einer anderen Bewusstseinsebene noch einmal zu betrachten, weil mein Bewusstsein und meine Weltanschauung jetzt mit 40 Jahren natürlich anders sind als mit 24. Wenn man so zurückblickt, dann sieht man auch, was man alles im Leben gelernt hat und was einen das Leben gelehrt hat. Durch das Buch schreiben durfte ich Heilung erfahren, auch die Trauer über den Tod meiner Mutter wurde reaktiviert und ich habe die Möglichkeit geschenkt bekommen, die Trauer aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten. Als ich über die Intensivstation geschrieben habe, auf der ich nach dem Unfall in Australien lag, da habe ich ganz schlimme Phantomschmerzattacken bekommen. Es war spannend zu beobachten, wie viele Themen immer noch im Unterbewusstsein schlummern und erst dann ans Licht kommen, wenn man die Gefühle fühlt und wenn man ihnen ins Gesicht schaut. Als ich das Buch geschrieben habe, bin ich durch ganz viele Phasen durchgegangen, von ‚dieses Buch wird so schrecklich, wer will denn das lesen‘ über ‚für wen hältst du dich eigentlich, ein Buch zu schreiben‘, bis zu den Momenten, wo ich mir gedacht habe, das könnte vielleicht ein Bestseller werden. Da war wirklich alles mit dabei. Das Schönste für mich war, dass ich wahnsinnig viel in die Dankbarkeit gegangen bin, weil mir durch das Schreiben noch einmal bewusst geworden ist, wie wichtig Gesundheit ist und was für eine unglaublich starke Familie und einen tollen Freundeskreis ich habe.

Wie sind die Reaktionen auf Dein Buch?

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin überwältigt von dem Feedback, das ich von den Leuten bekomme, das hätte ich mir so niemals vorgestellt. Sie haben sich bei mir bedankt, dass ich meine Geschichte geteilt und mich so verletzlich gezeigt habe. Sie haben mir geschrieben, dass sie das Buch im Krankenhaus gelesen haben, was ihnen Kraft geschenkt hat, und eine Frau hat ihren Job gewechselt, weil das Buch ihr bewusst gemacht hat, wie kostbar das Leben ist und dass man das machen soll, was einen erfüllt und glücklich macht. Da ist soviel gekommen und ich denke mir, ja, deswegen habe ich das Buch geschrieben, um andere Menschen zu ermutigen, ein glückliches, erfülltes Leben zu führen und dafür auch loszugehen.

Gibt es eine Geschichte einer Frau, die dich berührt oder beeindruckt hat?

Mein Vorbild ist die Amerikanerin Amy Purdy. Sie ist doppelt unterschenkelamputiert. Sie hat auch ein Buch geschrieben und sie hat mich sehr inspiriert. Ihre Kraft, die Positivität und auch der Mut, sich so verletzlich zu zeigen. Und was die Verletzlichkeit angeht, das ist schon auch sehr spannend. Diese Erfahrung habe ich schon gemacht, als ich vor dem Buch Menschen von meiner Geschichte erzählt habe, dass wenn man sich dem Gegenüber verletzlich zeigt, dann zeigt der sich auf einmal auch verletzlich. Man begegnet sich dann plötzlich auf der gleichen Ebene, denn wir wurden alle in unserem Leben schon einmal verletzt. Ich bin überzeugt davon, jeder Mensch hat seine Geschichte und das Leben jedes Menschen ist eine Weltreise.

*der Women‘s Hub ist ein Frauennetzwerk, www.womenshub.de