Antonia Veramendi

Eine Schule, die Vielfalt und Toleranz l(i)ebt…

 „Es war mir immer schon ein Anliegen, durch Bildung gesellschaftlich etwas zu verändern. Ich glaube, das ist der allerbeste Ansatz überhaupt, weil die jungen Menschen heranwachsen und mit dem, was sie als Kinder lernen ja später weiterleben.“, sagt Antonia Veramendi. Als Pädagogin will sie junge Menschen dazu befähigen, in unserer Gesellschaft in Vielfalt und Toleranz miteinander zu leben. Um dieses Ziel nach ihren Vorstellungen umzusetzen, gründete sie 2019 mit Gleichgesinnten die internationale Montessori Schule in München, den Campus di Monaco. Was sich so kurz und knapp in einem Satz niederschreiben lässt, hat eine lange und beschwerliche Vorgeschichte, denn eine Schule gründet man nicht eben einfach so.

Antonia Veramendi ist ausgebildete Montessori Pädagogin und hat lange an einer Montessori Schule gearbeitet. Und sie war an der Gründung der Münchner Schlau-Schule beteiligt, die sie zuletzt bis 2018 leitete. In der SchlaU-Schule (d.i. Schulanaloger Unterricht) werden rund 300 junge Flüchtlinge analog zu den Inhalten der bayerischen Mittelschulen unterrichtet und zum Schulabschluss geführt. Zwei Schul-Welten, zwischen denen die engagierte Pädagogin hin und hergerissen war.

Aus diesem Spannungsfeld heraus ist die Idee entstanden, selbst eine Schule zu gründen, die diese beiden Welten verbindet. An der SchlaU-Schule werden vor allem Jugendliche ab 16 Jahren aufwärts unterrichtet. Die Jugendlichen aber, die im Alter zwischen 13 und 15 Jahren einwandern, haben oft keine Möglichkeit mehr, in der kurzen Zeit die ihnen an der Mittelschule bleibt, wirklich noch das mitzubekommen, was sie bräuchten, um fest im Sattel zu sitzen und einen Schulabschluss erfolgreich zu schaffen. Für Antonia gibt es da eine  „beschämende Bildungskluft“ zwischen hier aufgewachsenen Kindern und Jugendlichen und den neu Zugewanderten. Dabei hatte die Erfahrung an der SchlaU-Schule gezeigt, wie man es schaffen kann, sehr stark benachteiligten Jugendlichen zu großartigen Bildungserfolgen zu verhelfen. Erfolge, die Antonia auch für den Jüngeren ermöglichen wollte: „Wir sind eine Migrationsgesellschaft, eine vielfältige Gesellschaft. Und ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie wir das schaffen wollen, in dieser Gesellschaft friedlich miteinander zurecht zu kommen und diese Vielfalt auch als Bereicherung wahrzunehmen. Ich finde, das ist ein riesiger Auftrag, den wir als Pädagogen haben, das in die Schulen reinzubringen und zu zeigen, was eine gute Migrationspädagogik bewirken kann.“

„Das hat wirklich Nerven gekostet“

Antonia will eine Schule, die mit Vielfalt, Toleranz und Individualisierung umgeht und jungen Menschen ermöglicht, die notwendigen Kompetenzen dafür zu erwerben. Sie beginnt, sich mit Menschen auszutauschen, die sie schätzt und von denen sie glaubt, dass sie diese Vision auch fachlich mitanreichern und konkretisieren können. Gemeinsam schreiben sie ein Schulkonzept, auch um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie realistisch ihre Idee ist, auch im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Finanzierung. Sie lernen schnell, dass verschiedene Faktoren ineinandergreifen müssen, wenn man eine Schule gründen will, und dass es im Grunde unmöglich ist, diese alle zum gleichen Zeitpunkt auf den Tisch zu legen. Ihr Ziel ist es, eine Mittelschule in privater Trägerschaft zu gründen, eine sogenannte Ersatzschule nach dem bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. Dafür muss man bei der Regierung von Oberbayern ein Schulkonzept einreichen, einen Finanzplan über 10 Jahre, ein Lehrerteam mit entsprechenden Genehmigungen benennen, das den Unterricht übernehmen soll, man muss die Kinder nachweisen, die auf diese Schule gehen sollen und eine Immobilie vorweisen mit einem 12 jährigen Mietvertrag, die nach dem Schulbaurecht für einen Schulbetrieb genehmigt werden kann. Antonia erinnert sich noch lebhaft: „Das ist ja quasi unmöglich, welcher Immobilienbesitzer vermietet  mir eine Immobilie, wenn ich noch keine Genehmigung vorweisen kann, welche Eltern melden ihre Kindern an in einer Schule, die noch gar kein Haus hat und welche Stiftung sagt mir Geld zu für eine Schule, die noch keine Schüler hat.“ Aber Antonia und ihre Mitstreiter:innen geben nicht auf. Ihr Schulkonzept überzeugt und sie finden sehr schnell Pädagogen und auch Kinder und Eltern. Als sehr schwierig erweist es sich tatsächlich, eine geeignete und bezahlbare Immobilie zu finden. Und auch die Finanzierung macht Probleme. Die Schule ist eine gemeinnützige Organisation und hatte bis zum 1. Schultag keinen Cent auf dem Konto, außer den 25.000 €, die die Schulgründer als Gesellschafter eingezahlt hatten. Und von Anfang an war klar, dass die sonst übliche finanzielle Säule durch die Eltern wegfällt, weil die Schule explizit eine Schülerklientel erreichen will, die das nicht bedienen kann.

Es war ein Drahtseilakt, bis sich endlich eine passende Immobilie findet und die Finanzierung steht. Am 31. Juli 2019 dann konnten die Schulgründer Pädagogen und Eltern mitteilen, dass die Schule im September 2019 starten würde. Antonia erinnert sich: „Das hat schon wirklich Nerven gekostet. Da waren Phasen dabei, da war ich völlig verzweifelt und dachte, wir müssen das Projekt beerdigen. Aber dann kam doch wieder jemand und sagte, komm wir versuchen es noch eine Woche länger und dann hat sich wieder etwas an einer kleinen Stelle bewegt, was wieder Mut gemacht hat. Aber das war wirklich herausfordernd, immer diesen Mut zu bewahren und das musste ich ja auch wieder an meine Mitstreiter:innen zurückgeben und allen immer wieder vermitteln, dass wir das schaffen.“

Über die Sprache eine Verbindung zwischen Menschen schaffen

Die Montessori Pädagogik und die Pädagogik der Anerkennung sind die beiden großen Eckpfeiler der Schule, aber, so Antonia, „wir sind eine Montessori Schule, aber wir setzen uns keine Scheuklappen auf, sondern wir beziehen durchaus andere Konzepte mit ein, die sinnvoll sind für die Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen“. Eine besondere Bedeutung im Schulkonzept hat die Sprache, denn sie wird gerade im Zusammenhang mit Migration oft als etwas Defizitäres wahrgenommen, zählt doch immer nur die deutsche Sprache, und damit verbunden die Frage spricht oder spricht nicht, kann die Sprache oder kann sie nicht. Antonia: „Es kommen aber viele Kinder zu uns, die fünf Sprachen fließend sprechen und hervorragende Sprachkompetenzen haben. Dies wirklich anzuerkennen gehört auch zum Anerkennen einer Person, denn die Sprache ist ja eng verbunden mit der eigenen Identität.“ Über die Sprache wird auch eine Verbindung geschaffen zwischen den Kindern mit und den Kindern ohne Fluchterfahrung. Für die einen ist Deutsch die Fremdsprache oder die Zweit-, Viert- oder Fünftsprache, die sie lernen und für die anderen ist Englisch, Französisch oder Spanisch die Fremdsprache, die sie lernen wollen. Antonia: „Da entsteht eine Augenhöhe zwischen allen Beteiligten. Wir sind nicht zweigeteilt in die einen, die Sprachförderung brauchen und die, die keine brauchen. Nein, wir brauchen alle Sprachförderung, eben in den Sprachen, die wir noch nicht sprechen.“ Die verschiedenen Sprachen, die an der Schule gesprochen werden, werden auch in der kulturellen Bildung, in der Musik, im Tanz und im Theater eingebaut. Antonia: „Wir versuchen viel Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen, und bauen die Sprachen auch an den Stellen ein, wo es möglich ist, sich zu verstehen, ohne dass alle diese Sprache sprechen. Also etwa im Theater, wo noch andere Elemente wie die Bewegung, die Mimik unterstützen, einen Kontext zu verstehen oder in Musik, ein Lied mitzusingen, wo ich nur einmal kurz die Übersetzung höre und dann aber einfach mitsinge, ohne dass ich die Sprache eigentlich gelernt habe, um ein Gespür für andere Sprachen und andere Klänge zu bekommen, so dass es normal wird, andere Sprachen zu hören und auch zu erfahren, dass da ähnliche Dinge passieren wie in meiner Sprache auch.“

Nach knapp zwei Jahren, hat das Schulteam natürlich noch nicht alle Pläne und Vorstellungen umgesetzt. Die neue Schule in der Corona-Krise aufzubauen, war für alle eine „Riesenanstrengung“, trotzdem sind sie weit gekommen. Antonia: „Wir haben hier eine ganz besondere Schule. Das ist in allen Köpfen und in unser aller Bewusstsein. Das schweißt uns zusammen und gibt uns, glaube ich, extra Kräfte.“

Schule anders denken

128 Schüler:innen gehen derzeit in die internationale Montessori Schule. Die Hälfte der Kinder hat Fluchterfahrung. Die Pandemie hat bei allen Kindern Spuren hinterlassen. Antonia: „Unsere Erfahrungen bestätigen die Studien. Die psychischen Krankheiten haben zugenommen, Angststörungen, Depressionen, Einsamkeitsgefühl. Da werden wir noch lange damit zu tun haben. Das sind ja auch keine Erkrankungen oder Störungen, die sich von heute auf morgen wieder zurückbilden. Und bei den Familien mit Fluchthintergrund zeigt sich auch deutlich, dass sie sich oftmals durch diese Krisensituation erinnert fühlen an frühere Krisensituationen und da eine Retraumatisierung stattfindet, die bewirkt, dass Traumata nicht verarbeitet werden können und eine Stabilisierung erst gar nicht einsetzen kann. Es ist fraglich, wie man das wieder auffangen können wird.“ Für die Pädagogen aller schulischen Einrichtungen wird die Bewältigung der Folgen der Pandemie in den nächsten Jahren eine zusätzliche Herausforderung sein. Und Antonia ist überzeugt davon, dass „Schule da noch einmal anders gedacht werden muss und einen ganz anderen Stellenwert bekommen muss“.

Der Campus di Monaco bekommt für seine Arbeit viel positive Resonanz von anderen Schulen, auch vom Schulamt oder der Schulrätin. Sie hat den Schülern zurückgemeldet, dass ihr aufgefallen sei, wie gut sie miteinander kooperieren und sich gegenseitig helfen. „Das ist genau das, was wir bewirken wollen“, sagt Antonia, „das ist eine schöne Resonanz und bestärkt.“

Rückblickend haben sich für Antonia die Mühen der Schulgründung auf jeden Fall gelohnt. Sie weiß aber auch, dass die neue Schule nur möglich war mit Leuten, die die Vision teilen und die dieselbe Kraft mit einbringen. „Und das machen die Leute hier. Das ist es, was einen trägt und was einen die Kraft aufbringen lässt, weil man weiß, wir machen das hier zusammen. Und jeder einzelne ist bitter notwendig dafür.“ Für das, was ist und auch für das, was noch werden soll. Antonia träumt von einer Schule als kulturellem Zentrum. Eine Schule, die in Kontakt ist mit den Menschen und Organisationen in ihrem Viertel, die mit ihnen gemeinsam Dinge plant und die Vielfalt nicht nur in der Schule lebt.