Anne Spierer

Die Natur als Kraftquelle

Foto: Sabine Schulte

„Gerade in diesen turbulenten Zeiten habe ich noch einmal gesehen, welch große Kraftquelle die Natur ist.“ Mit ihr verknüpft Anne Spierer auftanken, runterkommen und gute Gespräche. Und so erstaunt es nicht, dass das Unternehmen Ruhe&Pol, das sie zusammen mit ihrem Mann Daniel entwickelt hat, untrennbar mit der Natur verbunden ist: Ruhe&Pol organisiert Auszeiten in der Natur. Zeit für Reflexion, Neuausrichtung und persönliche Entwicklung.

Neuausrichtung war auch das Thema, als Anne und Daniel sich vor einigen Jahren die Frage gestellt haben, was sie wirklich wollen in ihrem Leben. Für Anne war bis zu diesem Moment die Antwort eigentlich einfach gewesen. Schon in der Schulzeit war der Mensch, seine Anatomie und die Biologie dahinter das, was Anne begeistert hat. Sie wusste bald, „Medizin ist das, wofür ich brenne“ und damit stand fest, was sie nach dem Abitur studieren würde. Die Arbeit später dann in der Klinik hat sie schnell desillusioniert. Im normalen „Klinikwahnsinn“ ist keine Zeit, lange Gespräche zu führen und die Menschen da abzuholen, wo sie stehen, aber „ich habe gespürt, dass die Menschen genau das brauchen. Und ich habe gespürt, dass ich viel mehr geben kann, aber der äußere Rahmen dafür war nicht da.“ Anne begann nach Alternativen zu suchen und stieß auf die traditionelle chinesische Medizin. „Ich habe gesehen, dass der ganzheitliche Ansatz, bei dem Körper, Seele und Geist beachtet werden, das ist, was wirklich nachhaltig wirkt.“

Die Natur als Geist- und Herzöffner

Der erste Impuls, in ihrem Leben etwas zu verändern, kam dann durch ihren Mann Daniel. Sein Job füllte ihn seit einiger Zeit nicht mehr aus und er stellte sich die Frage, was es noch gibt im Leben. Er begann sich neu zu orientieren. Anne begleitete seine Entwicklung mit Spannung und beschäftigte sich nun selbst mit ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung. 2018 dann entscheiden sich die beiden zu einem mutigen Schritt: Neben ihren Jobs gründen sie Ruhe&Pol und entwickeln ein ganzheitliches Konzept für Auszeiten in der Natur. Anne: „Wir haben an uns selbst gemerkt, dass wir uns am besten unterhalten können, wenn wir beim spazieren gehen oder wandern sind, wenn wir auf dem Wasser paddeln, Radfahren oder einfach draußen sind. Aus der Natur ziehen wir ganz viel Kraft und deswegen war es uns ganz wichtig, unsere Auszeiten auf Hütten oder in Naturhotels anzubieten und nicht in sterilen Seminarräumen. Wir sehen immer wieder, dass die Natur ein Geist- und Herzöffner ist und Reflexion und Veränderungsprozesse dadurch noch einmal ganz anders angestoßen werden können.“ Ruhe&Pol möchte Menschen auf dem Weg ihrer Neuausrichtung begleiten. Das können private oder berufliche Themen sein. Die Auszeiten folgen dem Bild einer Bergbesteigung. Am ersten Tag ist ankommen und runterkommen im Basecamp angesagt. Am zweiten Tag beginnen die Teilnehmer:innen, bildlich gesprochen, mit dem Aufstieg. Es geht um die Standortbestimmung, die Frage nach dem Warum und es geht um die Vision. Am dritten Tag erklimmen die Teilnehmer:innen den Gipfel und beschäftigen sich mit der Frage der Umsetzung. Anne ist es wichtig, dass nach der Auszeit wirklich eine Veränderung in Gang kommt. So ist das Ziel, dass jede/r Teilnehmer:in ein Oberziel formuliert, das in drei Unterziele runtergebrochen werden soll. Damit weiß am Montag jede/r, welche Aufgabe sie oder er in Woche 1, 2 und 3 nach diesem Wochenende hat. Anne: „Wir haben an uns selbst gemerkt, dass wir bei Trainings nach einem Wochenende total gestärkt rausgegangen sind. Am Montag hat man dann noch drive, am Dienstag schon weniger und am Mittwoch flacht es wieder ab. Da genau wollen wir ansetzen, indem wir diese Seilschaft stärken und sich die Teilnehmer:innen Sparringspartner suchen, die sie bei der Verfolgung ihrer Ziele begleiten.“ Die Seilschaft, das ist die Gruppe, die diese Auszeit gemeinsam verbringt und sich gegenseitig unterstützen soll „wie eine Seilschaft beim Aufstieg auf den Gipfel“. Die Nachbereitung des Wochenendes läuft über drei Wochen, weil das Gehirn mindestens 21 Tage braucht, um sich etwas Neues anzueignen und eine neue Sichtweise zu verankern.

Aus dem Trott ausbrechen und Neues wagen

Im Konzept von Ruhe&Pol spielen die vier Naturelemente eine große Rolle. Das Wasser steht für die Gesundheit, die Luft für das Mentaltraining, die Erde für die Achtsamkeit und das Feuer für die Persönlichkeitsentwicklung. Die Medizinerin Anne hat ein Gesundheitsrad entwickelt, dessen Ansatz es ist, den äußeren Rahmen für die innere Reflexion zu geben. „Wir schauen nach dem Schlaf, der Ernährung, der Atmung, all den Themen, die in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn wir den Kontakt zu uns verlieren oder in Stress geraten. Der Gesundheitsteil fußt auf einer Standortbestimmung, wie geht es mir, was läuft gut, wo möchte ich etwas ändern und wie kann ich das konkret schaffen.“

Für Anne war die Gründung von Ruhe&Pol durchaus eine Herausforderung: „Am Anfang haben wir noch selber stundenlang die ganze Verpflegung vorgekocht, das war im nachhinein total verrückt. Aber auch das darf sein, damit man in die Umsetzung kommt und startet. Und das hat mir geholfen, ein bisschen loszulassen, auch zu vertrauen, dass es gut wird und von meinem Perfektionismus ein bisschen runterzukommen.“ Im Rückblick weiß sie, dass sie mit Ruhe&Pol gewachsen ist. „Ich finde es spannend an mir zu sehen, wie ich neugierig geworden bin, aus dem Trott auszubrechen, nicht zu wissen, was in zwei Monaten ist, das hätte ich mir vor ein paar Jahren nicht vorstellen können. Ich habe bei mir selber viel mehr Mut kennengelernt, Neues zu wagen und Dinge einfach mal zu machen. Das kannte ich so nicht.“

Es gibt im Leben nicht nur einen Weg

Die Zusammenarbeit mit Daniel und seine Überzeugung, dass nicht von Anfang an alles perfekt sein muss und es wachsen darf, helfen ihr dabei. Wobei es nicht immer ganz einfach ist, als Ehepaar zusammen zu arbeiten, weil eben jeder seine Persönlichkeit hat. Vor allem aber ist es wichtig, Grenzen zu ziehen, zwischen der Arbeitszeit und der privaten Zeit. „Das muss man ganz bewusst tun“, weiß Anne aus Erfahrung, „weil die Grenzen so leicht verschwimmen.“ Seit einigen Monaten sind Anne und Daniel Eltern, auch das ist eine neue Herausforderung und bringt Veränderung mit sich.

Ruhe&Pol ist Annes und Daniels Herzensprojekt, aber es muss nicht zwangsläufig ihr „Lebensendprojekt“ sein. „Diese Einstellung“, so Anne, „hat viel Druck rausgenommen, zu sagen, wir ziehen regelmäßig Bilanz und auch wir dürfen uns immer wieder neu ausrichten. Also sich den Raum zu geben und zu sagen, es gibt nicht nur diesen einen Weg und das, was wir jetzt machen, müssen wir nicht mit 60, 70 , 80  noch machen. Das war auch ein Lernprozess für mich.“

Neben Ruhe&Pol arbeitet Anne seit 2019 in der Arbeits- und Präventionsmedizin. Arbeitsgesundheit, Vorsorge und Wiedereingliederung sind Themen, die ihr am Herzen liegen und die Zusammenarbeit mit Psychologen und Fachkräften für Arbeitssicherheit macht ihr Spaß. Bis nächstes Jahr aber wird sie ihre Elternzeit genießen.

Ruhe&Pol entwickelt sich derweil gut weiter. Anne und Daniel sind gerade dabei, über Bayern hinaus schöne Orte in der Natur zu suchen, an denen die Auszeiten stattfinden können, etwa in Thüringen am Nationalpark Hainich oder in Norddeutschland am Wasser. Raum für Reflexion mitten in der Natur. Aus dem Alltag heraustreten und mal von außen auf unser Leben schauen. Eine Auszeit eben, und wem täte die nicht gut…

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